„[…] macht Euch die Erde untertan.“
Die Bibel, AT Genesis 1,28
Dieser alttestamentarische Imperativ mag in den Köpfen von Nietzsche, Adorno und Foucault gewesen sein, als sie sich mit der Naturbeherrschung befasst haben. Nietzsche schreibt in „Götzendämmerung“: „Die christliche Moral ist ein Befehl; …“142, welcher nicht zu hinterfragen ist. Was gut und was böse ist, weiß nur Gott allein. Die Wahrheit ist göttlichen Ursprungs.
Die Naturbeherrschung ist die logische Folge des Befehls und der (instrumentellen) Vernunft, wie sie im vorangegangenen Kapitel behandelt wurde. Während sich Foucault auf die Beherrschung der inneren Natur spezialisierte, hat sich Adorno in seiner umfassenderen Theorie mit der inneren und der äußeren Naturbeherrschung beschäftigt.
Für Nietzsche ist die Aufklärung, wie bereits erwähnt, die prolongierte Form des christlich-asketischen Ideals. Eine Moral, die – wie im obigen Bibelzitat angedeutet – die Natur beherrschen soll. Die Vorwegnahme des christlichen Ideals, und daraus resultierend die Ideale der Aufklärung, verortet Nietzsche, genau wie Adorno143, in der Antike. Und exakt wie später Adorno und Foucault, konstatiert er in der Beherrschung der äußeren Natur gleichsam die Notwendigkeit der Unterdrückung der eigenen Natur. Dies steht im Kontext der Sklavenmoral, welche nicht nur ein schlechtes Gewissen schafft, sondern auch die Legitimation der Naturbeherrschung in sich trägt. In ‚Die Geburt der Tragödie’ rekurriert Nietzsche auf Euripides. In der ‚Genealogie der Moral’ spricht er gar von der „Vergewaltigung der Natur und des Selbst durch die Maschinen und die Ingeneur-Erfindsamkeit“144.
Die Natur wird von den Menschen als Bedrohung angesehen. Um dieser Bedrohung zu entgehen, gab es zu allen Zeiten Opfer. Seien es symbolische Opfer an die Götter oder, in der modernen Variante, die Unterdrückung der eigenen Natur.
Natur in der Aufklärung
Exemplifiziert wird dies bereits bei Adornos Interpretation des Homer Epos’ ‚Odysseus’, in welchem die Ruderer nicht zur Seite schauen dürfen und ihre Ohren verstopft sind, sodass sie den Gesang der Sirenen nicht hören können. Nur so kann es vorwärtsgehen, nur so kann es Fortschritt geben. Dies ist, so Adorno, ein wesentlicher Moment in einer Entwicklung, welche anders hätte verlaufen müssen, sollte ein menschengerechter Zustand erreicht werden.
In der Aufklärung wird oftmals vom Naturzustand als Grundmoment der Menschheit gesprochen. In selbiger Aufklärung, der Zeit der Repräsentation, wird die Natur, nach Foucault, „absolut verallgemeinert. Statt lediglich Geltung hinsichtlich der Beziehungen der Natur und der menschlichen Natur zu besitzen, erfragt sie die Möglichkeit jeglicher Erkenntnis.“145
Durch das christliche, asketische Ideal wird die Macht über den Körper auf die Macht über den Geist transferiert. Dies geschieht über die Unterdrückung der Bedürfnisse. Bei Adorno kommt dies der inneren Naturbeherrschung gleich, die nötig ist, um die äußere Naturbeherrschung zu gewährleisten. Bei Foucault wird durch den Körper qua Überreglementierung oder, wie er es sagt, mittels Disziplinierung auf den Geist eingewirkt. Die äußere Natur ist, ähnlich wie bei Nietzsche, im Zentrum der Analyse zur Naturbeherrschung zu finden.146
„Seine Herrschaft über die äußere Natur ist nur möglich durch asketische Selbstbeherrschung, durch rigide Kontrolle über das eigene identische „ICH“. Selbsterhaltung ist somit paradoxerweise nur möglich durch Selbstverleugnung und muß dadurch überdies mit der Entsagung von tatsächlichem Glück bezahlen. Dem Konsistenzzwang, äußeren Natur korreliert ein biographischer Konsistenzzwang, ein Zwang zur Identität, der das verhindert, was eigentlich erhalten werden sollte: die Entwicklung eines mündigen Subjekts, das sich frei, jenseits von allem Zwang, entfalten kann.“147
Das Band zwischen Mensch und Natur verlor sich durch den Begriff und die Vernunft. Diese Vernunft, deren Ursprung angesichts ihrer Askese auf den Selbsterhalt reduziert bleibt, ist der christlichen Theologie geschuldet. Schon der Terminus Adornos, „Askese“, deutet auf Nietzsche hin, dessen beschriebene Priester um dem Willen zur Macht zu entgehen, die Askese proklamieren.
„Der asketische Priester richtet nun den Ressentiment-Instinkt gegen sich selbst, er sagt: ‚Du bist selbst Schuld, das du krank bist, dass du leidest!’ und gewinnt aus der Affektentladung von der gewünschten Rache über Betäubung endlich Erleichterung. […] Es ist also die priesterliche Umdeutung des schlechten Gewissens zur ‚Sünde’, die das schuldige Mittel des Priesters ausmacht, und die in ihrer Folge nun die Sündhaftigkeit als Beschäftigung mit sich selbst zur Folge hat als weitere nach-innen-Richtung des Menschen, als weiteres sich-vom-Leben-entfernen, vom Willen zur Macht.“148
Das Ziel der Naturunterdrückung, dessen Empfänger der Beherrschte ist, ist gleichsam die Möglichkeit Menschen gefügig zu machen. „Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen. Nichts anderes gilt.“149
Die von Kant deduzierte „selbstverschuldete Unmündigkeit“ erkennt Adorno als das Unvermögen der Selbsterhaltung. Dieser Prozess, die Natur zu kontrollieren, kann als Machtausübung verstanden werden. Auch Foucault verweist auf diesen Aspekt, wenn er in einem Text über Nietzsche150 schreibt, dass die „Kraft gegen sich selbst kämpft“151:
„Auf ihre Ermüdung [der Kraft des eigenen, unterdrückten Ichs] reagiert sie [die Kraft], indem sie sich von der ermüdeten Kraft nährt und so die Ermüdung weitertreibt: sie zwingt ihre Grenzen, Opfer und Kasteiungen auf, staffiert sie mit einem hohen moralischen Wert aus und gewinnt so wiederum neue Kraft. Darum entsteht das asketische Ideal im ‚Instinkte eines degenerienden Lebens, welches … um sein Dasein kämpft.“152
Natur und die Naturwissenschaften: Adorno und Foucault
Die Herausbildung der Naturwissenschaften ist laut Adorno und auch Foucault von immanenter Bedeutung. Eine Korrelation zwischen ihnen ergibt sich entlang der Linie der Naturbeherrschung, deren beider Ursprünge sich bereits bei Nietzsche verorten lässt.
So weiß Foucault, dass es die Naturwissenschaften waren, die die Disziplinartechniken entwickelt haben und Adorno schreibt, es seien die Naturwissenschaften, die die Natur auf die Verfügbarkeit reduzieren.
Die Reduzierung der Natur auf bloße Verfügbarkeit und somit die Reduktion zum Objekt ist gleichsam die Verfügbarkeit über das objektivierte Individuum. Die Angst vor der Natur, ob der Eigenen oder der Äußerlichen, ist der Tatsache geschuldet, dass ein Ausleben unmöglich ist und daraus resultiert die Motivation zur Entwicklung bestimmter Techniken.
Naturbeherrschung und Macht
„Die Verdopplung der Natur in Schein und Wesen, Wirkung und Kraft, die den Mythos sowohl wie die Wissenschaft erst möglich macht, stammt aus der Angst des Menschen, deren Ausdruck zur Erklärung wird.“153
Techniken beziehen sich hierbei auf technische Erfindungen oder auf (in einem anderen Sinne instrumentelle) Selbsttechniken des Subjekts.
Foucault beschreibt die Unterwerfung der Natur am Beispiel des Sexualtriebes. Sex a priori wurde verteufelt, manche sexuelle Praktiken wurden bzw. werden als anormal gesehen. Durch Verinnerlichung dessen wurde die Kontrolle erst möglich. Da er sich von den vorhergegangenen Weber’schen Machtdefinitionen unterscheiden will, fokussiert er „eine Geschichte der Mächte im Westen …, und zwar vor allem der Mächte, die in die Sexualität eingebracht wurden“154.
Die „Maschen der Macht“ vor der Aufklärung waren zu groß und der Kontrolle entging zu vieles, also wurde die Macht in den Körper jedes Einzelnen und somit in die gesamte Bevölkerung eingeschrieben. „Das Leben ist jetzt, vom 18. Jahrhundert an, ein Objekt der Macht geworden.“155 Mit beispielsweise der Kontrolle des Sexuallebens kann das Individuum diszipliniert und die Bevölkerung reguliert werden.
Ziel des Aufwands der Naturbeherrschung ist, das Herrschen zu erleichtern. Der Beherrschte fungiert als Adressat. „Ein schwachsinniger Despot kann Sklaven mit eisernen Ketten zwingen; ein wahrer Politiker jedoch bindet sie viel fester durch die Kette ihrer eigenen Ideen; deren erstes Ende macht er an der unveränderlichen Ordnung der Vernunft fest.“156
Adorno weist in seinem Werk verschiedentlich darauf hin, dass die Aufklärung zur Barbarei führe. Die Tatsache, wie der Mensch unseres Kulturkreises mit Tieren umgeht, spricht Bände darüber, was er mit Menschen macht, die als Tiere eingestuft werden. Auch Nietzsche prophezeit die Barbarei, die sich vormals als Aufklärung sah.157 Diese Logik ergab sich nicht erst im Faschismus und bleibt auch weiterhin von flagranter Wahrheit, denn die Naturbeherrschung ist zweckhaft, sei es die Herrschaft von Menschen über Menschen oder die prinzipiell synonyme Technik der Disziplinierung. Foucault und Adorno identifizieren mit der Naturbeherrschung und der herrschenden Vernunft den Ausgangspunkt für ihre weiteren Analysen der Gesellschaft, wobei Adorno mit seiner holistischen Theorie das Ganze abbildet und Foucault mit seiner Spezialisierung auf die Feinheiten detaillierter eingeht. Von Nietzsche über Adorno zu Foucault ist die äußere Naturbeherrschung nur durch die Beherrschung der inneren Natur denkbar.
Die Naturbeherrschung ist rational und sie ist ökonomisch – darin stimmen Foucault und Adorno überein. Für Foucault gilt, dass jegliche Form der Disziplinierung von Grund auf zwei Aspekte hat: Ökonomie und Politik. Dies beschreibt er nicht nur in ‚Überwachen und Strafen’, es zieht sich auch durch seine ‚Geschichte der Gouvernementalität’, in welcher er die Ökonomie als den eigentlichen Antrieb für die Humanisierung der Strafpraxis sieht.158 Auch Adorno betrachtet den ökonomischen Faktor als Vehikel der Macht, welche den legitimen – vernünftigen – Grund für die Unterwerfung bietet. „…, daß die Gesetze der Ökonomie das Prinzip der Macht nie außer Kraft gesetzt oder auch nur geschwächt hatten … – zu einem besonders effektiven Mittel verdeckter, strukturell gewordener Machtausübung geworden waren.“159
Literaturnachweis für die Gemeinsamkeiten von Nietzsche, Adorno und Foucault zur Naturbeherrschung
138 Foucault (1985): „Freiheit und Selbstsorge“, S. 53.
139 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 106.
140 Foucault (1993): „Ordnung der Dinge“, S. 15.
141 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 95.
142 Tanner (1994): „Nietzsche“, S 53.
143 Vgl. „Odysseus oder Mythos und Aufklärung“ in: Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“; Horkheimer/Adorno (2003).
144 Zitiert nach Weiniger (1998): „Vernunftkritik bei Nietzsche und Horkheimer/Adorno“, S. 76.
145 Foucault (1993): „Ordnung der Dinge“, S. 209.
146 Fischer (1999): „Verwilderte Selbsterhaltung“, S. 135.
147 Kager (1988): „Herrschaft und Versöhnung“ S. 53.
148 Dukagjini (2002): „Zur Genealogie der Moral“, S. 13. (unveröffentlichte Quelle)
149 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 11.
150 Es ist zwar eine Nietzsche-Interpretation Foucaults, doch schrieb Foucault m. E. stets im Dienst des eigenen Projekts.
151 Foucault (1996): „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 76.
152 Ebd.
153 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 21.
154 Foucault (1999): „Botschaften der Macht“, S. 180f.
155 Ebd., S. 185.
156 Foucault (1994): „Überwachen und Strafen“; S. 131.
157 Vgl. Fischer (1999): „Verwilderte Selbsterhaltung“, S. 28.
158 Foucault (2004): „Geschichte der Gouvernementalität“, S. 24; vgl. auch Foucault (2005): „Analytik der Macht“, S. 233.
159 Wiggershaus (1998): „Theodor W. Adorno“, S. 63.