Schroer schreibt in seinem Buch ‚Das Individuum der Gesellschaft’: Ein Unterschied zwischen Adorno und Foucault sei, dass Adorno im Gegensatz zu Foucault Utopist wäre. Foucault und Adorno sind entweder keine Utopisten oder sie sind es in gleichem Maße.
Während Foucault eine „kritische Analyse unserer Welt“180 vorstellen will, ist es Adornos Ziel, der Gesellschaft einen kritischen Spiegel vorzuhalten – worin kein Unterschied zu sehen ist.
Unbestritten ist bei beiden jedoch die Frage der Ideologie. Sie filtert die Realität und generiert Wahrheiten. „Das Individuum ist zweifellos das fiktive Atom einer ‚ideologischen’ Vorstellung der Gesellschaft; es ist aber auch eine Realität, die von der spezifischen Machttechnologie der ‚Disziplin’ produziert worden ist.“ 181
Die Macht der Ideologie | Adorno und Foucault
Die Ideologie bzw. die Ideologiekritik Adornos ist stark geprägt durch die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts. Bei Foucault ist die Ideologie nicht in dem Maße thematisiert worden wie bei Adorno, nur gelegentlich lässt sich ein Hinweis darauf finden. Ihr gemeinsamer Vorgänger – Nietzsche – entlarvte die Möglichkeit der Herrschaftsstabilisierung, Macht an Ideologien zu koppeln. Foucault stellt Gleiches fest, wenn er schreibt: „Das Denken der Ideologien war nicht nur eine Theorie des Individuums und der Gesellschaft; es entwickelte sich als eine Technologie der subtilen wirksamen und sparsamen Gewalten, im Gegensatz zum kostspieligen Machtaufwand der Souveräne“182. Diese Techniken entsprechen der Macht des herrschenden Diskurses. Die Ideologie hält das Konstrukt der Wahrheit, der Vernunft, dadurch letztlich die Gesellschaft aufrecht. Beispiele hierfür sind die vermeintliche Freiheit oder der Humanismus. Dies sind vermittelte Vernunftideale und werden von den Wissenschaften als die einzig logische Wahrheit dargestellt. Adorno kommt dem gleich: „Freiheit und Humanität …, [die] geistigen Gebilde, die sie verkörpern, sind weithin als fadenscheinig, phrasenhaft, ideologisch durchschaut“183. Foucaults antihumanistische Einstellung korrespondiert mit seiner Haltung zur Freiheit, die für ihn mithin: „[in] Wirklichkeit … nur eine Erfindung herrschender Stände [ist]“ 184. Das klingt ähnlich bei Adorno an: „Daß Freiheit weithin Ideologie blieb; daß die Menschen ohnmächtig sind vorm System und nicht vermögen, aus ihrer Vernunft ihr Leben und das des Ganzen zu bestimmen;[…]“185.
Ideologie und die Wissenschaft
Durch ihre Totalität sind vor allem die Naturwissenschaften als Ideologie verdächtig. Nietzsche spricht den Ideologieverdacht gegen die Naturordnung aus.186 Dies entwickelt sich bei Foucault zur Konstruktion von Wirklichkeit, an dieser sich auch die „Wahrheiten“ als vermeintlich „real“ anpassen. Die herrschende, instrumentelle Vernunft hat ideologischen Charakter – auch hierin stimmen Adorno und Foucault überein. Foucaults „Episteme“ sind Wahrheitserzeugungssysteme – sie erzeugen im Sinne Adornos Ideologie.
„Als Wissenschaft von den Ideen muss die Ideologie eine Erkenntnis gleichen Typs sein wie diejenigen, die sich die Wesen der Natur, die Wörter der Sprache oder die Gesetze der Gesellschaft zum Gegenstand geben.“187
„… operiert die Wissenschaft von der Gesellschaft mit derlei Begriffen, schreckt aber vor der Theorie zurück, deren Momente sie sind, so leitet sie Dienste für die Ideologie.“188
Die Naturwissenschaften generieren mit ihrer Definitionsmacht Wahrheiten. So sagt Adorno: „Bann und Ideologie sind dasselbe. Diese hat ihre Fatalität daran, dass sie zurück datiert auf Biologie“189. Die Etablierung der Medizin und vor allem der Biologie als Disziplinen sind Wendepunkte, welche Adornos und Foucaults besonderes Interesse wecken.190
Beide glauben, dass die Ideologie die Herrschaft stabilisiert und damit zum Nutzen der Herrschenden instrumentalisiert wird. Adornos Ansicht nach, ist der Zusammenhang von Ideologie und Herrschaft vor allem im Spätkapitalismus bemerkbar, so ist denn auch die bürgerliche Ideologie für ihn eine wichtige Komponente zur totalen Integration der Subjekte. Sie ist laut Adorno verschleiert und verbreitet sich mittels Massenmedien besser und schneller als je zuvor.191 „Die gegenwärtig in Wahrheit wirksamen Leitbilder sind das Konglomerat der ideologischen Vorstellungen, die in den Subjekten sich zwischen diese und die Realität schieben und die Realität filtern.“192
Foucault glaubt, dass die Macht eine zu offensichtliche Ideologie nicht nutzt. Die Macht kann nur Mechanismen gebrauchen, welche Wissen als objektiv wahr und wirklich erscheinen lassen. Haftet diesem Wissen eine ideologische Begleiterscheinung an, so sind sie wertlos. Daher ist es wichtig zu entdecken, wo und wie die Mächte funktionieren. Doch die Verdeckung der Wirkungsweise von Macht ist für die Akzeptanz der Gesellschaft bzw. der Ideologie außerordentlich wichtig.
Adorno sieht hierin auch den Verblendungszusammenhang; die Aufklärung darüber gehört zu seiner unverkürzten Rationalität. „Weil die Integration Ideologie ist, bleibt sie selbst als Ideologie brüchig.“193 Besonders in der „Ideologie der Freiheit“194 sieht Foucault ganz klar ökonomische Prämissen: „… dieser Anspruch auf Freiheit [ist] wohl eine der Entwicklungsbedingungen von modernen oder, wenn sie so wollen, kapitalistischen Formen der Ökonomie gewesen …“195.Und daher, so Adorno, ist die Freiheit Teil der Ideologie, denn sie strahlt stets den „wirtschaftlichen Zwang“ zurück. 196
Als Denksystem seit der Aufklärung rangiert der Liberalismus weiter oben und in selbigem System herrsche, so Foucault, eine paradoxe Beziehung zwischen Freiheit und Sicherheit – beide Dispositive schließen einander aus. Die Ideologie bleibt eben brüchig. Für Foucault ist diese Ideologie zunächst eingebunden in Macht, bei Adorno ist es ein „Muss“ für die Herrschaft, was Foucault akzeptieren könnte.197
„In Wirklichkeit muss diese Freiheit, zugleich Ideologie und Technik der Regierung, … im Inneren der Mutationen und Transformationen der Machttechnologien verstanden werden. Und auf eine präzisere und bestimmtere Weise ist die Freiheit nur das Korrelat der Einsetzung von Sicherheitsdispositiven.“198
Am Beispiel von Geschichte und Standpunkt gibt Foucault zu bedenken, dass diese ideologisch beeinflusst sind. Gerade die Historie betreffend, die eines von Foucaults Hauptuntersuchungsfeldern markiert, geht er mit Adorno einen gemeinsamen Weg: „Die Kategorie der Wurzel, des Ursprungs selbst ist herrschaftlich, …. Was lockt, weil es durchs Abgeleitete, die Ideologie, nicht sich beschwichtigen lassen will, Ursprung, ist seinerseits ideologisches Prinzip.“199
Ideologie – Begrifflichkeit
Unbestritten ist, dass Foucault und Adorno nur teilweise denselben Ideologiebegriff benutzen. Adornos Begriff begründet sich aus der marxistischen Tradition, wenngleich auch in adaptierter Form. Foucault hat diesen Begriff nicht derart konnotiert. Nichtsdestotrotz sprechen sie unter Verwendung von Synonymen dieselbe Botschaft aus. Adorno, vermittelt durch seine Sprache mit sicherlich dramatischeren Worten, will mit der „Integration“ schließlich nur das erklären, was Foucault mit dem Begriff der „Disziplinierung“ umschrieb.
Adorno will in seinen Schriften zur Psychoanalyse aufzeigen, dass schon die Unterscheidung zwischen normaler und pathologischer Meinung falsch ist. Die normale Meinung selbst weist Merkmale des Wahns auf, was mit den Ansichten Foucaults verwandt ist. Dies beruht auf den Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft, die durch die Ideologie ein falsches Bewusstsein produziert. Hier lässt sich auch unschwer die Nähe zu Foucault bzw. Foucaults Nähe zu Adorno aufzeigen. Die Trennung zwischen normal/anormal ist nach Foucault ein Wesenszug des Epistems; mit Stichworten Adornos: Zeitgemäße, herrschende oder eben bürgerliche Ideologie.
Als Werkzeug ist die Ideologie ein konformitätserzeugendes Mittel, das der Gesellschaft ein entsprechendes Bild zeigt. Ohne diese Ideologie, so Adorno, wäre der Kapitalismus, die Kulturindustrie, schlicht unsere gesamte Gesellschaft so nicht denkbar. Denn sie ist zur Wahrheit geworden: „Denn der Begriff Ideologie ist sinnvoll nur im Verhältnis zur Wahrheit oder Unwahrheit dessen, worauf er geht; […]“200.
Literaturverzeichnis | Ideologie Kritik bei Foucault und Adorno
180 Ebd., S. 250.
181 Foucault (1994): „Überwachen und Strafen“, S. 249.
182 Ebd., S. 131.
183 Adorno (1995): „Theorie der Halbbildung“, S. 109.
184 Foucault (1996): „Nietzsche – die Historie, die Genealogie“, S. 71.
185 Adorno (2003): „Negative Dialektik“, S. 96.
186 Vgl. Weiniger (1998): „Vernunftkritik bei Nietzsche und Horkheimer/Adorno“, S. 62.
187 Foucault (1993): „Die Ordnung der Dinge“, S. 296.
188 Adorno (1995): „Theorie der Halbbildung“, S. 13.
189 Adorno (2003): „Negative Dialektik“, S: 342.
190 Foucault (2003): „Ordnung des Diskurses“, S. 40f.
191 Vgl. ebenfalls Adorno (1995): „Theorie der Halbbildung“, S. 100.
192 Ebd., S. 104.
193 Adorno (1995): „Theorie der Halbbildung“, S. 100.
194 Foucault (2004): „Geschichte der Gouvernementalität“, S. 77.
195 Ebd.
196 Vgl. Horkheimer/Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 176.
197 Mehr zu „Macht und Herrschaft“ in dem gleichnamigen Kapitel – noch folgend.
198 Foucault (2004): „Geschichte der Gouvernementalität“, S. 78.
199 Adorno (2003): „Negative Dialektik“, S. 158.
200 Ebd., S. 198.