„Es gibt viele Lesarten unserer Geschichte und Foucault ist nicht der erste der sie auf diese Weise liest. Er steht in einer Linie von Denkern, zu denen Nietzsche … und Adorno gehören.“
Hubert L. Dreyfus & Paul Rabinow
In der Rezeptionsgeschichte ist es erstaunlich, dass so viele Texte ausschließlich die Unterschiede zwischen Adorno und Foucault behandeln oder nur ein oder zwei Gemeinsamkeiten aufweisen. Oftmals, wenn über oder von Foucault gesprochen wird, werden Analogien zur Frankfurter Schule, im Besonderen zu Adorno, hergestellt, welche im nächsten Satz aber relativiert werden.
Beispielhaft steht dafür Axel Honneth mit seinem Buch „Kritik der Macht“. Es erscheint fast wie eine zwanghafte Differenzierung, die ich so nicht teilen kann. Dabei ist bekannt, dass Foucault Adorno gelesen hat und oftmals auf die Werke der Frankfurter Schule verweist.
Diese Arbeit beinhaltet einen Vergleich zwischen Michel Foucault und Theodor W. Adorno. Es sollen hierin die Gemeinsamkeiten, die sich zwischen beiden Philosophen ergeben, herausgestellt werden. Die Unterschiede, die bereits von vielen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen dargestellt wurden, sollen dabei nicht ins Gewicht fallen.
In der Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten scheint mir die These, die ich in dieser Arbeit aufstellen will, wenig provokativ. Beide bearbeiten dieselben oder sehr ähnliche Analysebereiche. Beide Autoren entstammen einer Denktradition, deren Ursprung sich bei Nietzsche verortet. Hier kann eine Linie aufgebaut werden, die alle drei in einer Tradition erscheinen lässt. Gerade weil Foucault darauf insistiert, dass er keine Theorie aufstellen will, lässt er sich so gut an Adorno adaptieren. Nichtsdestotrotz kann Foucault als einzelner Strang oder als Neuanfang bzw. Beginn der Postmoderne in der politischen Theorie begriffen werden.
Er schrieb vieles abseits von Adorno, was einer Neuerung gleichkommt. Selbstredend sind nicht alle Positionen der zu Vergleichenden kongruent – eine Analogie dieser Art wäre nicht nur fatal, sondern würde auch ihre Lebenswerke ad absurdum führen. Aber in ihrer Ähnlichkeit lässt sich eine Weiterentwicklung entdecken, die ich hervorheben möchte.
Die zahlreichen Zitate werden meine These unterstützen. Sie dienen als Beweisführung der unbeachteten Gemeinsamkeiten von Foucault und Adorno.
Auch wenn Foucault u. a. aus der Tradition der Strukturalisten kommt und der Methodik der Genealogie bzw. Archäologie folgte, und Adorno in der Tradition Hegels und Marx verortet wird und sich der Dialektik bediente, scheinen deren Gemeinsamkeiten doch unübersehbar. Meine These also lautet, dass beide trotz der unterschiedlichen Methoden zu teilweise denselben Ergebnissen kommen, sodass Foucault Adorno erweitert und spezialisiert.
Im Anschluss an diese Einleitung werde ich die zu untersuchenden Denker, angefangen mit Friedrich Nietzsche über Theodor W. Adorno zu Michel Foucault, kurz in den wesentlichen Punkten einführen. Hierbei sei erwähnt, dass ich gewisse Kenntnisse zu den erwähnten Denkern voraussetze, da eine ausführliche Darstellung zu umfänglich wäre.
Im Kapitel 3.1 über ihre grundlegende Philosophie spiegeln sich die Gemeinsamkeiten in ihren Grundkonzepten wider. Angefangen mit der Methodik über die Vernunftkritik, die Naturbeherrschung, die Kritik an den Begrifflichkeiten bis zur Problematik von Theorie und Praxis bzw. des Dogmenverbots zieht sich das Fundament, das Nietzsche im Grunde einst schon formulierte und auf dem Adorno und Foucault aufbauen.
Ihre Analysefelder werde ich im Kapitel 3.2 erläutern. Hier beginne ich mit der Frage nach der Ideologie, die auch die Frage der Wahrheit beinhaltet. Letzterer begegnet man ebenso in der Wissenschaft, denn auch sie produziert Wahrheit.
Nach diesen, zum Teil noch abstrakt wirkenden Bereichen gehe ich auf konkrete gesellschaftliche Themen ein: Macht und Herrschaft – und den damit in enger Relation stehenden Disziplinartechniken. Subjektivtheoretisch wird die Arbeit mit der Diagnose zum Individuum bzw. des Individualismus fortgesetzt. In ihrer Kritik behandeln sie auch das Patriarchat, welches die Gesellschaft – hier als einzelnes Analysefeld – mit prägt. Schließlich endet meine Vergleichsuntersuchung in deren Kritik am kapitalistischen System.
Vorweggenommen sei, dass ich zwar Nietzsche in einer kurzen Einleitung als deren gemeinsamen geistigen „Vorfahren“ erwähne, nicht aber andere Denker wie Hegel, Descartes, Kant, Lévi-Strauss, Heidegger oder Marx, die gleichfalls enormen Einfluss auf Foucault, respektive Adorno ausübten. Dies ist aufgrund des Umfangs dieser Arbeit nicht möglich.
Meines Erachtens ist Nietzsche die wichtigste „Schulter“ auf der die Beiden stehen. Er hat vieles vorausgenommen, was Adorno und Foucault später verwirklichten. So hatte Nietzsche einen Lehrstuhl der Denksysteme vorgeschlagen, der für Foucault eingerichtet wurde. Er hatte auch die Dialektik der Aufklärung antizipiert – als Kritik der verkürzten Aufklärung.
Des Weiteren habe ich viele Themen, welche den Beiden vielleicht gemeinsam sind, aus demselben Grund nicht mit einarbeiten können. Eine dritte Reduktion der Arbeit besteht in der teilweisen Verkürzung der Details. Trotz dieser Einschränkungen, die ich mir erlaubt habe, will ich in der vorliegenden Arbeit versuchen, ein seltenes Licht auf diese beiden großen Philosophen des 20. Jahrhunderts zu werfen. Denn ihnen ist nicht zuletzt gemeinsam, dass sie nicht nur die Philosophie und Soziologie ihrer Zeit verändert haben, sondern auch, dass ihre Werke die Grundlagen für eine Weiterentwicklung (nicht nur) der politischen Theorie darstellen.