Theodor W. Adorno

„Diese Welt ist eben nicht die Beste aller möglichen.
Eine bessere ist machbar, auch wenn die Möglichkeit, sie einzurichten, verstellt ist.“
Theodor W. Adorno

T. W. Adorno (1903 – 1969) ist ein sehr umstrittener Philosoph und Soziologe im Kreis der Frankfurter Schule gewesen, da er aus seiner Perspektive keine Möglichkeit sah, sich der Soziologie seiner Zeit anzuschließen. Seine Analysen haben dennoch bis in die Gegenwart eine enorme Bedeutung für viele Fachbereiche der Wissenschaft. Um seine Position in Bezug auf dieses Thema richtig einzuordnen, werde ich nun sein Schaffen kurz skizzieren.

Adorno wird als ein brillanter Denker und Kritiker angesehen, da er die 1968er Bewegung mit seiner Theorie maßgeblich beeinflusst hat. Wobei für ihn Denken mit Kritik gleichzusetzen ist. Er war federführend in der „Kritischen Theorie“, welche als in der Tradition von Hegel und Marx befindlich betrachtet wird. Allerdings wollte er Marx’ Theorie für das 20. Jahrhundert adaptieren. Er wollte eine aktualisierte Theorie der kapitalistischen Klassengesellschaft entwickeln, wobei er sich von vielen Aspekten der Marx’schen Theorie distanziert, so zum Beispiel von der These des historischen Materialismus.16 Adorno nannte Marx wegen seines Verwirklichungswillens sogar einen Feind der Utopie.17 Mit seinen erkenntnistheoretischen Kategorien „wütet [Marx] wie im sprichwörtlichen Porzellanladen“18.

Auch wenn ihre Vorstellungen der Urgeschichte anteilig kongruent sind, interessiert sich Adorno eher für die zivilisationstheoretische Legitimation im Umgang mit der äußeren und inneren Natur. Trotz der offensichtlichen Verbindung zwischen Marx und Adorno ist der Theoriestrang Marx-Adorno nicht derart tief verbunden, wie von Teilen der einschlägigen Literatur dargestellt.19

Der einflussreichste Philosoph für Adorno, aber auch für die Kritische Theorie, war und ist Nietzsche. Er gilt als der „Leitstern“20 der Kritischen Theorie. Adorno sagte über die Gewichtung Nietzsches selbst: „Nietzsche [habe ich] am meisten von allen sogenannten großen Philosophen zu verdanken – in Wahrheit vielleicht mehr noch als Hegel“ 21.

Es gibt viele Verbindungen zwischen Adorno und Nietzsche, welche ich im nächsten Kapitel näher ausführen werde. Hier soll es ausreichen, diese Kopplung in den Vordergrund zu stellen.

Adorno steht in dieser Arbeit gewissermaßen exemplarisch für die Denkschule der „Kritischen Theorie“. Zusammen mit Max Horkheimer verfasste Adorno die „Dialektik der Aufklärung“ – eines der Hauptwerke, welches dieser Arbeit zu Grunde liegt.

Adornos Instrument ist die immanente Kritik. Ein Werkzeug, das sich zwar nicht eignet, um ein Konzept zu entwickeln, aber es ermöglicht eine fundamentale Kritik, welche gesellschaftliche Problematiken aufzeigt. Seine Methode ist die Dialektik, die sich jedoch im Wesentlichen von Hegels Dialektik unterscheidet. Denn diese war innerhalb des geschlossenen Systems („Das Ganze ist das Wahre“),22 nach Adornos Ansicht, eine Konzeption der Totalität.

Der „Sieg der Identität über Identisches“23 ist in Hegels Dialektik unmittelbar vereint in der Stellung des Allgemeinen über das Besondere bzw. des Begriffs des Besonderen, welcher sich in abstracto über das Besondere erhebt. „Der allgemeine Begriff von Besonderheit hat keine Macht über das Besondere, das er abstrahierend meint.“24

Allerdings hat sich Adorno auch der empirischen Sozialforschung gewidmet, wenngleich er ausschließlich zur qualitativen Seite tendierte und die quantitative, empirische Forschung missbilligte. Letztere kritisierte er heftig im „Positivismusstreit“ der 1960er Jahre, welchen er hauptsächlich mit Karl Popper25 austrug. In diesem Kanon forschte er mit qualitativ-empirischen Methoden zur autoritären Persönlichkeit und veröffentlichte noch in den USA26 die F-Skala, die den Faschismusgrad von Individuen aufzeigen sollte.
Ein Hauptaugenmerk Adornos galt der Aufklärung, die den „Mythos“27 abstrahiert hatte. Die Aufklärung ist nicht in Gänze vollzogen worden. Der Mythos war bereits eine Form der Aufklärung, wie die Welt zu verstehen ist. Die eigentliche Aufklärung ist hiervon eine Fortsetzung, doch sie ist verkürzt: Sie schlägt wieder in Barbarei um, die sich im 20. Jahrhundert in den totalitären Systemen zeigt. Der Verwirklichung der Aufklärung hatten sich Adorno sowie weitere Anhänger der Kritischen Theorie verschrieben.

Für Adorno gab es, so hatte er es einmal ausgeführt, drei Höllen: „Den Stalinismus, den Faschismus und die Kulturindustrie“. Die Totalität, die diesen Systemen immanent ist, besteht nach Adorno in einem totalen Wahrheitsanspruch und der Monopolbildung.
Der Kulturindustrie hat Adorno ein Fragment in der Dialektik der Aufklärung gewidmet. In dieser sieht er einen zentralen Moment des Spätkapitalismus, denn „die ganze Welt wird durch den Filter der Kulturindustrie geleitet“28. Die Kulturkritik Adornos offenbart auch seine Nähe zu Nietzsche.29

Kultur ist zu einer Ware geworden und die darin existierenden Produkte sind durch ihre Austauschbarkeit, ihrem „Schema“ zu „Schund“ verkommen. Der Inhalt ist immer gleich, denn „Kultur schlägt alles mit Ähnlichkeit“30. Die Aufgabe der Kulturindustrie ist die Standardisierung – die Disziplinierung – der Individualität zur Pseudoindividualität. Da dem Individuum das Besondere fehlt, kann es „bruchlos in die Allgemeinheit“31 eingegliedert werden. Kunst ist dabei kaum noch zu erwarten, so Adorno, wobei dies von Walter Benjamin stellenweise anders beschrieben wurde.32

25 Karl Raimund Popper wird zwar von Adorno als Positivist bezeichnet, er sieht sich aber nicht als solchen. Er rechnet sich zu den kritischen Rationalisten, welche aber die quantitative Empirie als einzige wissenschaftliche Methode anerkennen.
26 Adorno, der als Jude im NS-Deutschland verfolgt wurde, emigrierte 1938 in die USA und kam 1949 zurück nach Deutschland. Hierbei folgte er einer Einladung des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main.

Adorno spricht von Kulturindustrie als einer Maschinerie, die nichts der Fantasie und nichts dem Zufall überlässt. Die Erzeugnisse der Kulturindustrie sollen für Zerstreuung sorgen, doch sie sind die Fortsetzung der Verblendung. Ewige Wiederholung und permanente Präsenz macht „Fun … [zu einem] Stahlbad“33. Die Kulturindustrie betrügt die Menschen um die Selbstbestimmung – sie ist die „Aufklärung als Massenbetrug“. Der Verblendungszusammenhang spielt hierbei eine enorme Rolle. Dieser bezeichnet die Missstände, die zwar immer wieder auftauchen, aber nicht wirklich wahrgenommen werden. Da „[der] Verblendungszusammenhang, der alle Menschen umfängt, …“34 in einem derart großen Zusammenhang steht, verblendet er durch die Übersehbarkeit. Sei es die Individualisierung, die Verdinglichung, die Freiheit oder die Suche nach dem Glück: Der Schein trügt – betrügt. Die Kehrseite der Aufklärung zeigt sich z. B. im Antisemitismus. Dieser ähnelt der Kulturindustrie bei Adorno insofern, als dass sie genauso mit Stereotypen arbeitet und ebenso ins Ökonomische transformiert wird. „Wie in der Kulturindustrie ist auch dem Antisemitismus der Mensch, was dessen ‚Wert’ betrifft, gleichgültig, als Objekt ist dieser austauschbar.“35

Mit seinem bekannt gewordenen Ausspruch: „… nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch …“36, welchen er in der „Negativen Dialektik“ relativierend zurücknimmt,37 meint Adorno die Verknüpfung zwischen Kultur und Antisemitismus, deren Verbindung auf die Naturbeherrschung unserer Gesellschaft zurückgeht.

Er geht gleichwohl differenzierend auf dieses Thema ein, indem er in faschistischen und den sekundären Antisemitismus unterteilt. Letzterer ist unter anderem gar die Leugnung der Existenz von Konzentrationslagern während der NS-Zeit. Diese Unterteilung ist heute noch in einigen Disziplinen von Relevanz.

Oftmals wird Adornos Angst vor dem überall lauernden Faschismus’ als ein zu verarbeitendes Trauma mit der Nazi-Herrschaft gedeutet.38 Dies erscheint angesichts der schon zuvor entwickelten Theoreme Adornos über Barbarei und Mythos müßig. Meines Erachtens wollte Adorno nur die Richtigkeit seiner Gedanken darstellen, denn dass die Nazi-Herrschaft Barbarei ist, wird wohl niemand ernsthaft abstreiten können. Adorno hat die Menschen bewundert, die das Konzentrationslager überstanden. Aber er schrieb ihnen auch eine Schützengrabenreligion zu, die er für sich von sich wies.39

Adornos Ziel ist es der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Dieses Spiegelbild reflektiert die Aufklärung, die für ihn zu kurz greift, da die Rationalität auf einer instrumentellen Ebene stehen geblieben ist.

„Krampfhaft, willentlich wird verkannt, dass das Zuviel an Rationalität … ein Zuwenig an Rationalität ist … und zu der das Bewusstsein, getrübt von unablässiger Rücksicht auf bestehende positive Verhältnisse und Gegebenheiten, sich überhaupt nicht mehr zu erheben getraut.“40

Die reflektierte Vernunft (oder sympathische Vernunft) ist eine Möglichkeit die instrumentelle Vernunft der Aufklärung, die im Dienst der Herrschaft steht, zu durchleuchten. Die instrumentelle Vernunft reicht nicht zu einem „wahrhaft menschlichen Zustand“. Daher ist die Aufklärung immer noch ein Mythos. Sie reicht den Menschen unseres Kulturkreises nur um die Natur zu beherrschen, was den Menschen von der Natur entfremdet und ihn in eine Herrschaftsbindung versetzt, wie sie heute vorzufinden ist. Nach Adornos Herrschaftsanalyse wird diese durch die Naturunterwerfung ermöglicht. Doch um die Natur zu beherrschen, musste der Mensch seine eigene Natur unter Kontrolle bekommen. Die pure Selbsterhaltung wurde zum Télos, was mittels der Askese die Selbstbeherrschung erlaubte.

„Nicht bloß mit der Entfremdung der Menschen von den beherrschten Objekten wird für die Herrschaft bezahlt: mit der Versachlichung des Geistes wurden die Beziehungen der Menschen selber verhext, auch die jedes einzelnen zu sich. […] Der Animismus hatte die Sache beseelt, der Industrialismus versachlicht die Seelen.“ 41

Die schon von Marx kritisierte „Entfremdung“ wird von Adorno weitergeführt zu einer geistigen „Verdinglichung“: Der Mensch wird zum Objekt, er ist nichts weiter als ein Zahnrad im Getriebe des Spätkapitalismus. Der Spätkapitalismus stellt für Adorno die aktuellste Form in einer langen Geschichte der Herrschaft von Menschen über Menschen dar. Letzteren bleibt nur, sich dem Tauschgesetz, also dem Kapitalismus unterzuordnen – nicht nur weil der Mensch es einsieht, sondern weil er es will. Das ist die herrschende Vernunft, die „selbst zum bloßen Hilfsmittel der allumfassenden Wirtschaftsapparatur wurde“42.

Das bloße „Funktionieren“ des Menschen erlaubt es, den Markt in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu versetzen, wo vormals der Mensch sich sah. Die Menschen sind zum Anhängsel „der Maschinerie“ geworden, die sie allerdings bestens ernährt. Ein „Schleier“, den der Mensch als wohltätig empfindet, hat sich über das Bewusstsein der Menschen gelegt, der die wirkenden Strukturen der Herrschaft verdeckt – die des Klassenunterschiedes.

„Subjektiv verschleiert, wächst objektiv der Klassenunterschied vermöge der unaufhaltsam fortschreitenden Konzentration des Kapitals an.“ 43

Der Mensch ist auf Träger und Agent des Tauschhandels reduziert. Es ist ein Fortschritt, der ein Rückschritt ist, weil er zum Verfall der Kultur führt. Dieser Fortschritt braucht und hat die Unterstützung der Menschen. Die Menschen müssen sich anpassen, was sie auch wollen. Konformismus – oder wie Adorno sagt – „der soziologische Terminus lautet ‚Integration’“ 44 ist totale Vergesellschaftung und Ideologie.

„Die Anpassung der Menschen an die gesellschaftlichen Verhältnisse und Prozesse… sind, [der] Triumph der Integration, bis ihre innersten Verhaltensweisen hinein, mit dem identifiziert, was mit ihnen geschieht […]. Der Prozess zehrt davon, dass die Menschen dem, was ihnen angetan wird, auch ihr Leben verdanken.“ 45

Die Naturbeherrschung hat in letzter Konsequenz die Barbarei zur Folge, die sich in der NS-Zeit exemplarisch abspielte. Der Antisemitismus ist nur durch die Herabstufung von Menschen auf die Ebene der Tiere möglich. Dies ist eine Folge der instrumentellen Vernunft und der damit zusammengehenden Naturbeherrschung. Faschismus, so Adorno, ist die zwangsläufige Folge der Kultur.

Die Menschen hängen an dieser Ideologie, ja kämpfen um sie. Sie verspricht ihnen die Freiheit. Doch die Freiheit, so Adorno, ist die Freiheit zum „Immergleichen“: Die Freiheit des Warenhandels, die Freiheit, „die stets den wirtschaftlichen Zwang zurückstrahlt“46.
Zusammenfassend in Adornos Worten: „Anpassung aber ist unmittelbar das Schema fortschreitender Herrschaft. Nur durch ein der Natur sich Gleichmachen, durch Selbsteinschränkung des Daseienden gegenüber wurde das Subjekt dazu befähigt, das Daseiende zu kontrollieren. Diese Kontrolle setzt gesellschaftlich sich fort als eine über den menschlichen Trieb, schließlich über den Lebensprozess der Gesellschaft insgesamt.“ 47

Eine Rettung aus diesem Zustand ist, so Adorno, gemäß der Vernunft der Zeitgenossen, nicht zu deren Vorteil. Eine Rettung wäre nur möglich, indem man die innere Natur aus der Beherrschung herausnimmt bzw. eine Versöhnung zwischen Mensch und Natur bewerkstelligt. Sein Lösungsansatz ist also die Versöhnung, die Mimese von Objekt und Subjekt. Mensch und Natur sollten sich als nichtfeindliche Brüder sehen und so könnte man freundlicher mit der Umwelt als auch mit den Mitmenschen umgehen. Adorno nennt das eine „transzendente Einsicht“48. „Errettung meint die Liebe zu den Dingen.“49 Darin zeigt sich ebenfalls eine Unterscheidung zu Marx, da Adorno nicht auf eine sozialrevolutionäre Gesellschaft hofft. Die vermeintlich zu Rettenden wollen den Zustand aber erhalten, der den Verfall der Kultur besiegelt. Es ist das Ende des Subjekts bzw. seines Selbstbildes. Mit den Worten Foucaults einleitend gesagt: „der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“50.

Literaturverzeichnis

14 Nietzsche „Genealogie der Moral“ zitiert nach Weiniger (1998): „Vernunftkritik bei Nietzsche und Horkheimer, Adorno“, S. 25.
15 Weiniger (1998): „Vernunftkritik bei Nietzsche und Horkheimer, Adorno“, S. 25.
16 Fischer (1999): „Verwilderte Selbsterhaltung“, S. 11.
17 Vgl. Adorno (1997): „Negative Dialektik“, S. 315.
27 Adornos Einteilung der Historie vollzieht sich vom Animismus zur Zeit der Mythen und endet durch die „Aufklärung“ in der Moderne.
28 Vgl. Horkheimer/Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“; S. 130.
29 Ebd., S. 136.
30 Ebd., S. 128.
31 Ebd., S. 164.
32 Vgl. Benjamin (1994): „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“.
33 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 149.
34 Adorno (2003): „Negative Dialektik“, S. 365
35 Behrens (2003): „Adorno-ABC“, S. 37.
36 Adorno (1995): „Kulturkritik und Gesellschaft“, S. 30.
37 Vgl. Adorno (2003): „Negative Dialektik“, S. 356.
38 Vgl. Fischer (1999): „Verwilderte Selbsterhaltung“, S. 17.
39 Vgl. Adorno (2003): „Negative Dialektik“, S. 360f.
40 Vernunft und Offenbarung; Adorno zitiert nach Gripp (1986): S. 13.
41 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 34.
42 Ebd., S. 36.
43 Adorno (1995): „Gesellschaft“, S. 15.
44 Adorno (1995): „Theorie der Halbbildung“; S. 100.
45 Adorno (1995): „Gesellschaft“, S. 18.
46 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 176.
47 Adorno (1995): „Gesellschaft“; S. 18.
48 Adorno; zitiert nach Wiggershaus (1998): „Theodor W. Adorno“, S. 35.
49 Adorno (2003): „Negative Dialektik“, S. 191.
50 Foucault (1993): „Ordnung der Dinge“, S. 469.

Von admin

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