Hier nun der zweite Teil der Kapitalismuskritik von Adorno und Focault.
Hier geht es zum ersten Teil der Kapitalismuskritik Adorno und Foucaults.
Kapitalismus und Freiheit im Fokus der Kritik von Adorno und Foucault
Auch die Freiheit, welche der Gesellschaft versprochen wird, ist doch begrenzt. So schreibt Adorno: „Aber die Freiheit in der Wahl der Ideologie, die stets den wirtschaftlichen Zwang zurückstrahlt, erweist sich in allen Sparten als die Freiheit zum Immergleichen.“358 Der Liberalismus, den die Aufklärung verkündet hatte, war derjenige der Wirtschaft – nicht der des Menschen. Foucaults Interpretation erreicht auf anderen Wegen dasselbe Ziel und beginnt an einem durchaus ähnlichen Punkt.
„Sicher kann man sagen – und ich denke, dass dies nicht falsch wäre, nicht falsch sein kann -, dass diese Ideologie der Freiheit, dieser Anspruch auf Freiheit wohl eine der Entwicklungsbedingungen von modernen oder, wenn sie so wollen, kapitalistischen Formen der Ökonomie gewesen ist.“359
Die Freiheit als Grundprinzip von Regierung und Bevölkerung ist die Ideologie, auf der sich die Ökonomie sicher fühlen kann, da Macht und Markt dieselben Ziele haben. Sie folgen dem Lauf ihrer Gesetze, ihrer Realität.360 Die Ökonomie ist, ähnlich wie die Macht, an der „Herstellung von Effizienz, von Fähigkeiten, von Produzenten eines Produkts“361 interessiert. Mit Adorno zusammengefasst lässt sich dies so ausdrücken:
„Die entfesselte Marktwirtschaft war zugleich die aktuelle Gestalt der Vernunft und die Macht, an der Vernunft zuschanden wurde. […] Die Aufklärung hatte sich auf den Liberalismus festgelegt.“362
Notwendig entsteht eine Hierarchie und damit ein Unterwerfungssystem, sodass die Maschinerie reibungslos arbeiten kann. Der Körper ist durch Unterwerfung produktiver. Adorno spricht in Anlehnung an Nietzsche davon, dass die Herrschaft eine schon immer da gewesene Tatsache ist, die heute aber im Dienst des Kapitalismus steht. Nietzsches Askese spielt hierbei eine gewichtige Rolle. Adorno interpretiert Odysseus’ Abenteuer in diesem Sinne, als dass Odysseus nur durch Entsagung und Selbstverleugnung seine Selbsterhaltung ermöglicht.363 In diesem Zusammenhang spricht er dann auch von der Allmacht des Tauschprinzips des Kapitalismus’.364
Foucault sieht ebenfalls die lange „Tradition“ der Herrschaft, betont er doch zugleich, dass die Menschen nicht gehorsamer geworden sind, aber durch die Techniken und die Rationalität, die der Gesellschaft innewohnen, eine „immer besser kontrollierte, immer rationellere und wirtschaftlichere Abstimmung zwischen den Produktionstätigkeiten, den Kommunikationsnetzen und dem Spiel der Machtverhältnisse …“365 entstand.
Diese Machtverhältnisse bzw. diese Herrschaft stehen im Zusammenhang mit der Unterdrückung der inneren Natur und dies zeigt sich auch im Kontext mit der Verfügungsgewalt über die Natur. Dazu schreibt Foucault: „… damit ein Ding in einem Tausch ein anderes ersetzen kann, muss beiden bereits ein Wert innewohnen. Und dennoch besteht der Wert nur innerhalb des (aktuellen oder möglichen) Ersetzens, das heißt innerhalb des Tauschs oder der Tauschbarkeit.“ 366
Objektivierung in der kapitalistischen Gesellschaft
Diese Unterwerfung unter die Sachlogik ist bei Adorno und Foucault gleichermaßen zu finden. Nur wenn die Menschen optimal funktionieren, kann die große spätkapitalistische Produktionsmaschinerie die Fortschritte produzieren. Hieran schließt sich ein Fortschrittspessimismus an, den beide Philosophen in ihren Werken vertreten.
Die Frage nach dem Subjekt wird auch in der Sphäre der Ökonomie behandelt. Die Menschen, die in Adornos Worten nur noch „Träger und Agenten des Tauschprinzips“ sind, haben sich zunehmend entfremdet. Der Mensch verliert sich gegenüber den „ökonomischen Mächten“. Der Einzelne ist nunmehr Objekt und als solches hat er einen Wert. Foucault schreibt, dass der Mensch durch die Ausbildung einen Wert erhält. Dadurch wird er als Subjekt mit Rechten wahrgenommen. Adorno schreibt hierzu, dass die Vergegenständlichung ganz maßgebend durch den Kapitalismus vorangetrieben wurde. Aber erst die Disziplinierung hat dem Kapitalismus den Weg geebnet.
„Die Kommensurabilität individueller Verhaltensweisen, die reale Vergesellschaftung, beruht darauf, dass sie als Wirtschaftssubjekte überhaupt nicht unmittelbar sich gegenüberstehen, sondern nach dem Maß des Tauschwertes agieren.“ 367
Der letztlich ökonomische Ausschluss, der dem Nonkonformisten droht, ist ebenfalls beiden Denkern vertraut. Mit diesem Mittel lässt sich herrschen – der Sündenbock, von je her ideologisch benutzt, erscheint hier wieder in der Form des Unproduktiven.
„Vielmehr haben die Mechanismen des Ausschlusses des Wahnsinns … einen gewissen ökonomischen Vorteil, einen gewissen politischen Nutzen deutlich werden lassen und sahen sich auf einen Schlag von globalen Mechanismen und schließlich vom gesamten Staatssystem ganz natürlich kolonisiert und mitgetragen. Wenn man diese Machtmechanismen aufgreift oder von politischen Nutzen sich in einem bestimmten Kontext und aus bestimmten Gründen daraus ergeben, kann man verstehen, wie diese Mechanismen schließlich tatsächlich zu einem Teil des Ganzen werden.“ 368
Der Verteilungslogik liegt auch das Prinzip zugrunde, das Adorno vertritt, wenn er dazu schreibt: „Die Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität [verleiht] … dem technischen Apparat und den sozialen Gruppen, die über ihn verfügen, eine unmäßige Überlegenheit über den Rest der Bevölkerung.“ 369
Wenngleich die zwei Autoren andere Worte dafür benutzen, stimmen sie grundlegend darin überein, dass Disziplinierung und Überwachung, also die Produktion gehorsamer Körper, zweifelsohne mit dem Aufschwung des Kapitalismus und damit mit der Akkumulation von Kapital verbunden sind. Dabei gibt es eine Verbindung zwischen der Anhäufung von Macht und der Akkumulation von Kapital. Was Foucault ergänzend noch ausführt, ist die Verbindung von Sexualität und Kapitalismus, denn die Sexualität muss, zur Regulation der Bevölkerung im Allgemeinen und der Individuen im Besonderen, kontrolliert werden.
Der angesprochene Machtzuwachs entsteht durch die Züchtigung des Geistes gegenüber dem Körper, aus dem mehr Geld zu gewinnen ist, als aus den zu verkaufenden Gütern. Die Disziplinierung ist, so schreibt Foucault, „eine der großen Erfindungen der bürgerlichen Gesellschaft [und ein] grundlegendes Instrument bei der Errichtung des Industriekapitalismus …“370.
Dieser Satz, der auch von Marx stammen könnte, wäre auch von Adorno für richtig befunden worden. Denn die Herrschaft, weiß Adorno, „tritt dem Einzelnen als das Allgemeine gegenüber, als die Vernunft in der Wirklichkeit“371. Sie verwirklicht sich durch die Arbeitsteilung, in welcher die herrschende Realität auf das Individuum wirkt. Die sogenannte Anpassung an die Arbeitsteilung ist es, welche die „Selbstentäußerung der Individuen“ bewirkt und sie an den Apparat des Kapitalismus bindet, welcher sie letztlich formt bzw. diszipliniert. Die Arbeitsteilung ist bei Adorno der Ersatz für die Mimese, sie ist Teil des Verblendungszusammenhangs.372
Aber auch Foucault schreibt, dass die Arbeitsteilung der Grund für die Erfindung der ‚Werkstattdisziplin’ war, wobei ohne diese Disziplinierung keine Arbeitsteilung denkbar wäre. Und neben der Regierung tritt die Ökonomie und die Meinung373 (Adorno spricht hier weniger zurückhaltend von der Propaganda) als „Korrektiv“ zusammen auf.
„Die kapitalistische Produktion hält sie [die Arbeiter und Angestellten, die Farmer und Kleinbürger] mit Leib und Seele eingeschlossen, daß sie dem, was ihnen geboten wird widerstandslos verfallen. Wie freilich die Beherrschten die Moral, die ihnen von den Herrschenden kam, stets ernster nahmen als diese selbst, verfallen heute die betrogenen Massen mehr noch als die Erfolgreichen dem Mythos des Erfolgs. Sie haben ihre Wünsche. Unbeirrbar bestehen sie auf die Ideologie durch die man sie versklavt.“374
Abschließend lässt sich hervorheben, dass bei beiden der ökonomische Zwang im Mittelpunkt der Gesellschaft steht. Wie bereits erwähnt, sieht Foucault meist nur zwei Gründe, den politischen und den ökonomischen. Bei Adorno ist der Profit der eigentliche Antrieb – wie sich dies in dem Abschnitt über die Kulturindustrie verdeutlicht.
Literaturverzeichnis
358 Horkheimer/Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 190.
359 Foucault (2004): „Geschichte der Gouvernementalität“, S. 77.
360 Ebd.
361 Foucault (2005): „Analytik der Macht“, S. 225.
362 Horkheimer/Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 97.
363 Ebd., S. 62f.
364 Vgl. Ebd.
365 Foucault (1999): „In Verteidigung der Gesellschaft“, S.185.
366 Foucault (1993): „Die Ordnung der Dinge“, S. 140.
367 Adorno (1995): „Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie“, S. 51.
368 Foucault (1999): „In Verteidigung der Gesellschaft“, S. 42.
369 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 4.
370 Foucault (1999): „In Verteidigung der Gesellschaft“, S. 46.
371 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 28.
372 Wiggershaus (1998): „Theodor W. Adorno“, S. 51.
373 Foucault (2004): „Geschichte der Gouvernementalität“, S. 397.
374 Horkheimer/ Adorno (2003): „Dialektik der Aufklärung“, S. 155.